Wer jetzt die Augen offen hält, kann etwas erleben! Pflanzen sind faszinierend, für mich alle. Ich möchte anregen, sie nicht ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Nutzbarkeit für Küche, Haushalt, Apotheke, Haushalt usw. zu betrachten. Jede Pflanze ist Teil eines Ökosystems und hat einen Nutzen, zum Beispiel bietet sie Tieren Lebensraum und Nahrung. Und wenn sie uns selbst nicht direkt zu nutzen scheint, so nutzt sie uns doch indirekt. Denn je größer die Biodiversität (= Vielfalt von Lebensräumen, Vielfalt von Arten, genetische Vielfalt), desto besser kann sich die Natur anpassen und ist damit widerstands- und anpassungsfähiger.
Wir hängen mit Gedeih und Verderb davon ab, sind Teil des Netzes, das Band lässt sich nicht abschneiden.
Mit einer zunehmenden Verschlechterung des Zustandes unserer Natur, verschlechtert sich auch die Lebensqualität von uns Menschen. Darum lasst uns rausgehen, die Natur verstehen und jedes Detail lernen zu lieben. Denn was wir lieben, das schützen wir.
Das Entdecken macht Spaß und beschert echte Glücksmomente, die uns von Ersatzbefriedigungen ablenken und uns das Wesentliche spüren lassen.
Von Ende April bis ungefähr Mitte Mai könnt ihr jetzt in feuchten Laub- und Auwäldern einen spannenden Vorgang der Pflanzenwelt erfühlen und erschnuppern…
Inhaltsverzeichnis
Der Aronstab und seine Bestäubungsstrategie
Am Abend könnt ihr Zeuge des unglaublich spannenden Vorgangs werden, mittels Fühlen und Riechen!
Es blüht der Gefleckte Aronstab (Arum maculatum), ich bin mir sicher, viele von euch kennen ihn, da er zu den “Bärlauchverwechslern” gehört. Daher achten viele im zeitigen Frühling auf die pfeilförmigen Blätter, später dann aber, wenn das Kraut im Meer der aufkeimenden Krautschicht des Waldes versinkt, fällt es kaum noch auf. Man verpasst die außergewöhnliche Blüte und die Fruchtbildung, was wirklich schade ist!
Der Gefleckte Aronstab zählt zu den „Kessel-Gleitfallenblumen“ und hat eine ganz besondere Strategie, um Bestäuber anzulocken. Jeder Blütenstand blüht genau einen Tag (und Nacht) und das Interessante geschieht in der Nacht, es beginnt gegen Abend (ca. 19:00 Uhr), jetzt könnt ihr es deutlich spüren, wenn ihr den Blütenkolben zwischen Daumen und Zeigefinger anfasst und wenn ihr die Nase näher hinhaltet, meistens auch riechen.
Der Name
Seinen Namen hat der Gefleckte Aronstab einerseits von den Blättern, die manchmal, aber nicht immer, durch dunklere Flecken gezeichnet sind. Aron soll von arunda, harunda = „Rohr“ kommen. Der Volksmund machte daraus Aron und entwickelte eine Sage, nach der die Pflanze aus dem Stab der biblischen Figur Aaron entstanden ist. Aaron wurde durch Mose und im Auftrag Gottes das erbliche Amt des Hohepriesters übertragen. Vertreter der 12 Stämme Israels hatten jeweils einen Stab auf die Bundeslade (truhenartiger Kultgegenstand der Israeliten) gelegt. Nachdem nur der Stab Aarons ergrünte, wurde dies als Zeichen für seine Auserwählung zum Hohepriester gewertet.
Im Volksmund gibt es zahlreiche, regional unterschiedliche Bezeichnungen für den Gefleckten Aronstab, zum Beispiel “Stinkwurz” oder Aaswurz”, warum werdet ihr gleich verstehen, wenn ihr weíterlest.
Mit “Wurz” wurden früher im Allgemeinen Kräuter bezeichnet. Oft wurden u.a. zu Heilzwecken die Wurzeln (Wurzen) der Pflanzen verwendet, so auch vom Gefleckten Aronstab, allerdings ist diese sehr giftig und man sollte dies nicht nachmachen!
Der Blütenstand
Unwiderstehlich für die Schmetterlingsmücke, die noch nichts von der bevorstehenden Rutschpartie ahnt...
Die Bestäubung erfolgt meistens durch die kräftig behaarte Schmetterlingsmücke (winzige Fliegen), deren Larven in Abwässern und Fäkalien leben. Der Aronstab lockt die Tierchen mit üblem Harnduft an.
Der Kolben produziert zu dieser Zeit soviel Wärme, dass seine Basis auf bis zu 40 Grad aufgeheizt wird.
Im Kessel, wo sich weibliche, männliche und sterile Blüten befinden, wird es hierdurch warm. Die Temperatur im Kessel kann durch diese der Pflanze eigenen “Heizung” bis zu 25 Grad wärmer sein als die äußere Umgebungstemperatur.
Der Aronstab heizt allerdings nicht, damit es die Mücken in der Blüte kuschelig haben, sondern weil die Duftstoffe auf diese Weise doppelt so schnell abgegeben werden und das lockt die Mücken. Diese wittern durch den üblen Harndurft einen perfekten Platz für ihre Eiablage und fliegen zum Kessel, dessen Innenwand mit jetzt mit Öltröpfchen benetzt ist, auf denen sich die Fliegen nicht halten können. Die Rutschpartie beginnt und schwups sind sie schon im Kessel gelandet.
Die Gefangennahme
An dem Kranz aus sterilen männlichen Blüten (Reusenhaare) am Eingang des Kessels kommen die Mücken, so lange die Blüte andauert nicht vorbei und sind über Nacht im Kessel gefangen.
Wenn’s für den Aronstab gut läuft, haben die Gäste schon Pollen von einer anderen Aronstabpflanze im Gepäck und so reifen erst die weiblichen Blüten und sondern einen Tropfen ab, an dem der bestäubende Pollen hängenbleibt und die Befruchtung ermöglicht. Früher herrschte die Annahme, der Tropfen enthalte Nektar für die Fliegen, dies wurde allerdings widerlegt.
Erst im Laufe der Nacht reifen die männlichen Blüten, die Staubbeutel platzen auf und bepudern die kleinen Häftlinge.
Am Morgen erschlafft die Blüte, die glitschigen Öltröpfchen verschwinden und die Mücken werden wieder in die Freiheit entlassen. Bis zum nächsten Aronstab, auf den sie im wahrsten Sinne des Wortes „hereinfallen“. Dann geht das Spiel von vorne los.
Das ist doch Insektentäuschung!
Futter bekommen die Tierchen vom Aronstab nicht, sie nehmen in ihrer nur einwöchigen Lebenszeit keine Nahrung auf. Die Eiablage führt hier nicht zum Nachwuchs und zur Sicherung der Nachkommenschaft, denn die Larven würden kein Futter vorfinden. die Da die Insekten keinen Nutzen von ihrem Besuch haben, spricht man beim Aronstab auch von einer „Insektentäuschblume“.
Nun habe ich am Anfang erklärt, dass jede Pflanze irgendeinen Nutzen hat und Teil des großen Netzes des Lebens ist. Welchen Nutzen hat also eine Insektentäuschblume? Beim Aronstab ist das schwer zu recherchieren. Fakt ist, dass der Same Eiweiß enthält, dass Ameisen als Nahrung dient. Auch hier macht sich der Aronstab wieder kleine Tierchen zu Nutze, denn die Ameisen sorgen durch die Verteilung der Samen für seine Verbreitung. Im Gegensatz zu den Fliegen erhalten sie hierfür Futter.
Darüber hinaus ist der Gefleckte Aronstab eine typische Pflanze der Krautschicht in feuchten Wäldern. Damit ist er Teil eines Lebensraumes, der für Tiere nicht nur Nahrungs-, sondern auch Wohn-, Aufenthaltsmöglichkeiten und Verstecke bietet sowie ein geeignetes Mikroklima schafft. Außerdem werden abgestorbene Pflanzenteile von Mikroorganismen umgewandelt und so ein Nährboden geschaffen, auf dem all dies gedeihen kann.
Ob es Tiere gibt, welche die roten, für Menschen und für Haus- und Weidetiere giftigen Beeren fressen, habe ich nicht herausbekommen, ich nehme es aber an. Wenn jemand mehr weiß, freue ich mich über einen Kommentar.
Der Gefleckte Aronstab hält auch für Forscher noch Geheimnisse bereit. Seine ausgefallene Bestäubungsbiologie ist für verschiedene naturwissenschaftliche Disziplinen wie die Botanik, Biochemie, chemische Ökologie oder Evolutionsbiologie interessant.
Der Gefleckte Aronstab im Detail
A Blühende Pflanze
1 Kolben
a weibliche b männliche c verkümmerte, sterile Blüten (letztere in 1 c vergrößert) d Unfruchtbares Ende des Blütenkolbens
2 Männliche Blüte in der Vergrößerung
3 Weibliche Blüte in der Vergrößerung
4 Weibliche Blüte im Längsschnitt
B Pflanze im Fruchtstadium
5 Reife Früchte am Fruchtkolben
6 Reife Frucht geöffnet
7 Same
8 Same im Längsschnitt, um Keimling und Eiweiß zu zeigen
Noch mehr zum Gefleckten Aronstab
Eine Familie
Die Gemeine Drachenwurz (Dranunculus vulgaris), Fotos von einer unserer Botanikreisen nach Kos (Griechenland) und die Titanenwurz (Amorphophallus titanum), mit bis zu 5 m riesig und mit einer Knolle, die über 100 kg wiegen kann, machen es übrigens wie der Gefleckte Aronstab. Beide gehören ebenfalls zur Familie der Aronstabgewächse (Araceae) und sind ebenfalls Kesselfallenblumen.
Die Titanenwurzen leben in den Regenwäldern der indonesischen Insel Sumatra, immer mal wieder kann man das Schauspiel der Titanenwurzblüte aber in botanischen Gärten, wie zum Beispiel im Juni 2019 im Botanischen Garten Salzburg, beobachten.
Die Araceae zählen weltweit übrigens etwa 120 Gattungen, wovon die meisten in den Tropen leben. Der Gefleckte Aronstab ist bei uns also eine Besonderheit, macht euch das doch einfach mal bewusst, wenn ihr ihn seht.
Um die blühenden Aronstäbe zu finden, müsst ihr im krautigen Unterwuchs des Waldes jetzt etwas den Blick schärfen, aber habt ihr mal eine Blüte gefunden, ich verspreche euch, dann seht ihr plötzlich überall welche, zumindest dort, wo er häufig ist, so wie bei uns.
Vielleicht könnt ihr euch ja noch an Stellen erinnern, wo ihr die jungen Blätter im zeitigeren Frühjahr gesehen habt, oft in der Nähe des Bärlauchs. Dort geht ihr jetzt einfach mal hin.
Später beginnt dann im August/September die Reife des Fruchtstandes, erst erscheinen grüne und bei Reife rote Beeren. Dann ist es nochmals interessant zu schauen.
Gemeine Drachenwurz (Dranunculus vulgaris)
Gemeine Drachenwurz vor der Blüte
Diese Gemeine Drachenwurz haben wir während unser Botanikreise im Mai 2019 auf der griechischen Insel Kos bewundern dürfen, sie ist dort recht häufig und wächst in Wäldern, Gebüschen und auf feuchten und nährstoffreichen Standorten.
Überhaupt ist sie im östlichen Mittelmeerraum und auf dem Balkan anzutreffen. Sie gehört zu den größten und während der Blüte auffälligsten Aronstabgewächsen Europas und ist durch die Zeichnung ihrer Stängel sowie ihre leuchtende Blütenfarbe wirklich beeindruckend!
Hier auch zu sehen, dass Aronstabgewächse häufig von einem Rostpilz befallen werden.
Der wirklich verrückt gezeichnete Stängel der Gemeinen Drachenwurz. Foto: Frente, commons.wikimedia.org
Titanenwurz (Amorphophallus titanum)
Bildquelle: commons.wikimedia.org
Giftigkeit
Achtung, alle Teile des Gefleckten Aronstabs sind giftig. Interessanterweise ist auch für den Gefleckten Aronstab, wie für viele weitere giftige Pflanzen eine frühere Verwendung als Heilpflanze überliefert. So soll er u.a. zur Versorgung von Wunden und gegen Rheuma und Gicht verwendet worden sein. Bei Erkältung wurde ein Schnaps in Kombination mit schweißtreibendem Holunderblütentee getrunken. All dies sollte man nicht ausprobieren, auch wenn immer wieder berichtet wird, die Giftwirkung reduziere sich durch Trocknung und Abkochung. Wir haben viele ungiftige Pflanzen, die wir bedenkenlos verwenden können. Die Giftpflanzen können wir stattdessen unter Gesichtspunkten der Schönheit und Faszination betrachten. Es ist für Kräutersammler ja auch sehr wichtig, Giftpflanzen zu (er)kennen, um eine Vergiftung auszuschließen.
Geschichtliches: Achtung pikant!
Noch ein pikantes geschichtliches Detail zum Schluss: Wegen dem Blütenkolben, der in seiner Form dem Phallus ähnelt, war die Pflanze bei älteren Herren als Aphrodisiakum beliebt. Junge Mädchen nutzten ihn für den Liebeszauber, sie legten ein Wurzelstück vor der Kirchweih unter Aufsagen des folgenden Spruches in ihren Schuh: „Zehrwurzelkraut, (anderer Volksname für den Gefleckten Aronstab) ich ziehe dich in meinen Schuh, ihr jungen Gesellen lauft mir alle zu“. Wie gesagt, man sollte dies nicht nachahmen, denn Giftstoffe werden auch über die Haut in den Körper aufgenommen.
Schutz
Während die Sumpf-Drachenwurz (Calla palustris), die ebenfalls zu den Aronstabgewächsen gehört (nicht zu verwechseln mit der Sumpfdotterblume (Caltha palustris, Hahnenfußgewächs) und im Land Salzburg vollkommen geschützt ist, ist der Gefleckte Aronstab bei uns recht häufig und steht nicht unter Schutz.
Laut Bundesartenschutzverordnung (BartSchV) ist der Gefleckte Aronstab auch in Deutschland nicht geschützt. Allerdings haben die Bundesländer die Möglichkeit, den Schutz zu erweitern und regionale Gewächse unter Schutz zu stellen. In Österreich ist der Pflanzenschutz ohnehin Ländersache. Man sollte sich also immer die regionalen Bestimmungen anschauen, wenn man etwas über den Schutz von Pflanzen erfahren möchte. Im Falle des Gefleckten Aronstabs ist dieser für Kräutersammler ohnehin nicht attraktiv. Man sollte sich die Blüten aber auch nicht in die Blumenvase stellen.
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Ich hoffe, der Beitrag war spannend und hat euch Spaß gemacht! Erzählt doch mal, ob ihr euch tatsächlich auf die Suche gemacht habt, die Wärme gespürt und den üblen Geruch wahrgenommen habt. Hierfür hilft es, mit der Nase wirklich mal näher ran zu gehen, wenn ihr nicht gleich was riecht. Von mir gibt’s im Blog natürlich auch weiterhin regelmäßig Rezepte, aber zwischendurch auch immer mal wieder einfach nur Spannendes aus der Pflanzenwelt. Seid lieb gegrüßt und habt weiterhin viel Freude draußen, zwischen all dem explodierenden Grün jetzt im Frühling! Alles Liebe!
Eure Wilde Möhre
Fotos: ©Silja Parke und Andreas Thomasser, ausgenommen Dezailzeichnung Gefleckter Aronstab aus der Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Gemeine Drachenwurz Stängel, Titanenwurz: https.commons.wikimedia.org
3 comments
Danke, dass du dein Wissen und deine Leidenschaft für die Pflanzenwelt mit uns teilst. Es ist wie eine virtuelle Reise in die Natur, die uns daran erinnert, wie wichtig es ist, unsere Umgebung zu schätzen und zu schützen.
Viele Grüße,
Daniela
Hallo Silja,
toller Artikel zum Aronstab! Die roten Beeren werden übrigens von Vögel gefressen, da gibs Beobachtungen u.a. von Amsel und Buchfink (vor allem in England) dazu 🙂
Liebe Silja,
so eine spannende Pflanzenvorstellung, ich finde ihre exotische Blütenform in der Natur immer wieder faszinierend.
Danke dir dafür, jetzt werde ich sie noch mehr beobachten.
Wünsche dir ein wunderbar sonniges Oktoberwochenende