Nach dem Frühstück brechen wir im Dias Distintos zur Herdade auf. Nach unserem Besuch dort, wollen wir uns später noch die Weltkulturerbestadt Èvora anschauen und einen Steinkreis in Almendres besuchen, der zwischen der Stein- und Bronzezeit entstanden sein soll.
Auf der Herdade do Freixo do Meio angekommen, werden wir von dem Besitzer Alfredo Cunhal Sendim herzlich begrüßt. Wir werden in einen Schulungsraum geführt, der einem alten Klasssenzimmer ähnelt. Neben alten Schulbänken stehen Regale voller Bücher. Man sieht auch einige Buchrücken aus dem Antiquariat. Alfredo hat sich mit Landwirtschaftssystemen verschiedener Epochen beschäftigt, das wird im Laufe seines Vortrags klar. Seine Augen leuchten vor Leidenschaft, wenn er über seine Arbeit berichtet. Mit all seinem gesammelten Wissen und den eigenen Erfahrungen bewirtschaftet er seit 25 Jahren die 500 Hektar große Herdade und passt das System gemeinsam mit seinen 25 Mitarbeitern immer wieder neuen Herausforderungen an.
Alfredo erklärt uns, dass das Land von der Algarve bis zum Alentejo einst von einer dichten Buschlandschaft überzogen war. Der Mensch hat die Landschaft zu einer Kulturlandschaft gemacht und stark verändert. Es entwickelten sich landwirtschaftliche Systeme, wie der Montado, einem Kreislauf, der aus einer komplexen Symbiose aus Bäumen, Büschen und Gras sowie einem Miteinander von Pflanzen, Tieren, Menschen, Kork- und Steineichen besteht. Auch auf Alfredos Hof spielen in sich geschlossene, ökologische und nachhaltige Kreisläufe eine wichtige Rolle.
Nach dem Ende der Diktatur Mitte der 70er Jahre, sind die landwirtschaftlichen Flächen in einem ähnlichen Zustand wie nach der römischen Herrschaft. Es gab nur ein paar wenige Großgrundbesitzer, die in Monokultur produzierten. Im Zuge der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung hat sich die über Jahrhunderte aufgebaute Humusschicht durch das Vegetationsfreiliegen nach der Ernte umgewandelt und die Böden auf vielen Flächen ausgezehrt.
Alfredo hat sich bewusst dafür entschieden, auf eine Vielzahl von Produkten zu bauen. So kann er natürliche Kreisläufe nutzen, nachhaltiger wirtschaften und ist unabhängiger vom Klimawandel, der auch das Alentejo erfasst hat. Wenn z.B.die Olivenernte aufgrund der immer unberechenbareren Wettereinflüsse schlecht wird, gibt es noch genug andere Produkte, die auf der Herdade hergestellt werden und die einen Ertrag erzielen. Zudem sieht sich Alfredo als Großgrundbesitzer in der Verpflichtung seinem Land, seiner Leute und der nachfolgenden Generationen gegenüber.
Auf der Herdade werden u.a. Gemüse, Kräuter, Oliven, Wein, tierische Produkte von Schweinen, Hühnern, Kühen und Schafen sowie Produkte aus Eicheln hergestellt. Es gibt auch einige Kooperationen, z.B.mit einem Imker, der auf der Herdade seine Bienenstöcke aufstellt, einem Reitlehrer, der seine Reitstunden auf den Pferden der Herdade gibt und sich dafür um die Pferde kümmert, einer Kräuterinitiative, die Kräuterprodukte herstellt, einem Künstler, der sich ein Atelier auf der Herdade eingerichtet hat und so weiter. Bisher gibt es insgesamt neun solcher Kooperationen.
Zunächst kommen wir an einigen Schweinen vorbei, im Hintergrund sehen wir Komposthaufen. Gustavo erklärt uns, dass die Schweine schwarz sind, weil es sich um das “Porco Preto Alentejano” handelt. Das schwarze Alentejo Schwein ist besonders an die Bedingungen im Alentejo angepasst. Neben anderem Futter frisst es Eicheln, darf langsam wachsen und ist mit seiner schwarzen Haut besonders sonnenunempfindlich. Gustavo erzählt uns, dass die Schweine gerne hier sind, weil sie gerne im Kompost wühlen. Das hat für die Herdade den Vorteil, dass der Kompost nicht von Menschenhand umgesetzt werden muss.
Unterwegs sehen wir ein paar Hühner umher laufen. Die meisten Hühner sind aber in einem eingezäunten Areal und halten sich in der Nähe einer Überdachung auf. Davor gibt es Flächen, auf denen Gräser und Kräuter wachsen, hier können die Hühner picken. Ganz frei sind sie nicht, weil die Gefahr groß ist, dass sie von Raubtieren gerissen werden. Ab und an kommt das auch vor. Auf der Herdade leben verschiedene Hühnerrassen, eine davon hat einen nackten Hals, was uns zunächst erschrickt. Gustavo erklärt uns, dass das fehlende Gefieder dieser Rasse, charakteristisch für die “Nackthalshühner” ist.
Gemüse wird im Freiland unter Dächern und zwischen den Olivenbäumen angebaut. Um eine möglichst lange Nutzung zu gewährleisten, wird der Boden unter den Dächern zunächst ausgehoben und wie ein Hochbeet mit verschiedenen Schichten aufgefüllt… Baum- und Strauchschnitt, Grünschnitt, Erde, Kompost, Mutterboden und Kohle zum Binden von Wasser. Die Flächen werden im Fruchtfolgesystem bewirtschaftet.
Auf den Streifen zwischen den Olivenbaumreihen werden auch Gemüse und Kräuter angebaut. Hier werden die positiven Effekte, die daraus entstehen, genutzt. Durch die Blüten werden u.a. Insekten angelockt, die auch die Blüten der Oliven bestäuben. Die Olivenbäume wiederum locken Vögel an, die auch die Schädlinge, der Gemüse und Kräuter fressen. Das Gemüse deckt den Boden ab, damit trocknet er weniger aus. Leguminosen versorgen den Boden mit Stickstoff und die Olivenbäume spenden dem Unterwuchs Schatten. Ein Zusammenspiel am Ende, das allen nützt.
Malven werden hier u.a. genutzt, um andere Pflanzen zu stimulieren, denn sie wurzeln besonders tief. Flacher wurzelnde Pflanzen in ihrer Nähe werden dadurch angeregt auch tiefer zu wurzeln, denn andernfalls hätten sie Probleme an Wasser zu gelangen. Die flacher wurzelnden Pflanzen zum tiefer wurzeln anzuregen ist deshalb wichtig, weil es oft wochen- und monatelange Trockenperioden gibt.
Nun steuern wir Richtung Wiesen. Wir kommen an einer großen Mariendistel vorbei. Gustavo erzählt uns, dass der Milchsaft als Lab zur Käseherstellung verwendet wird. Von dieser Eigenschaft der Mariendistel wussten wir nicht. Eine Ecke weiter steht ein riesiges Labkraut. Wir erzählen Gustavo, dass dieses auch als Lab für die Käseherstellung genutzt werden kann, daraufhin ist er erstaunt. Super! Der Wissensaustausch funktioniert. Wieder was gelernt!
Die Wiesen werden auf der Herdade im Wechsel von den verschiedenen Tierarten beweidet. Alle Tiere haben unterschiedliche Vorlieben. Jede Tierart frisst etwas, was die andere nicht so gerne fressen mag und so wird eine Verbuschung und Verunkrautung verhindert, das Mähen gespart und eine natürliche Vielfalt erhalten. Zudem muss wenig zugefüttert werden, wenn die Tiere weiden. Für die kargen Jahreszeiten wird selber Heu gemacht. Gustavo sagt uns, es sei besser hundert Esel einen Tag grasen zu lassen, als einen Esel hundert Tage. Deswegen wird auf der Herdade kleinflächig beweidet und die Tiere schon nach kurzer Zeit weiter getrieben.
Nachdem wir in der “Halle der Stier” gut zu Mittag gegessen haben und Produkte wie Eichelkaffee, Eichelmehl, Honig und Wein gekauft haben, machen wir uns auf den Weg in die Weltkulturerbestadt Évora. Halle der Stiere übrigens deswegen, weil hier früher einmal die Stiere untergebracht waren und ihnen hier auch das Arbeitsgeschirr angelegt wurde. Die Glocken, die an den Deckenbalken hängen, sind typisch für das Alentejo und werden den Schafen umgehängt, damit man sie in den weiten Korkeichenwäldern und Wiesen wiederfindet. Vor kurzer Zeit wurden diese Glocken ebenfalls zum Kulturerbe ernannt.
In Evora starten wir gleich mit der ersten Sehenswürdigkeit bevor es an Shopping und Kaffee geht. Die Knochenkapelle ist ein Teil der Igreja Real de São Francisco (Königskirche des Heiligen Franziskus). Die Kapelle wurde im 16. Jahrhundert von einem Franziskanermönch errichtet, die Wände sind über und über mit menschlichen Knochen besetzt. Am Eingang der Kapelle steht der Satz “„Unsere Knochen, die hier liegen, erwarten eure”. Der Mönch wollte damit zum Ausdruck bringen, dass das Leben nur ein Abschnitt ist, bevor man in den Himmel oder die Hölle kommt.
Azuleijos sind aus bemaltenn Fliesen zusammengestzte Bilder. In dem Wort “Azuleijo” steckt das Wort “blau” und so sind die typischen Azuleijos auch aus blau bemalten Fliesen zusammen gesetzt. Die Fliesenbilder haben ihren europäischen Ursprung in Spanien und Portugal. Die Glasurtechnik haben die Spanier und Portugiesen aber von den Arabern gelernt und weiter entwickelt.
Nach dem Besuch in der Knochenkapelle haben wir uns in Grüppchen aufgeteilt und sind ausgeschwärmt, jeder nach seiner eigenen Façon. Die einen haben sich im Cafe nieder gelassen, die anderen haben die Geschäfte nach Mitbringseln durchstöbert haben das Sightseeing fortgesetzt.
Der Templo Romano de Évora ist im 1. Jahrhundert n. Chr. zu Ehren des Kaisers Augustus erbaut worden. Er ist heute das wichtigste Symbol Portugals für die einstigE Herrschaft der Römer. Der gut erhaltene Tempel wird auch Templo de Diana genannt, da er der römischen Jagdgöttin Diana geweiht war.
Der Cromlech von Almedres befindet sich einige Kilometer westlich von Évora. In der Gegend gibt es einige Menhire und Dolmen. Der Weg zum Cromlech führt vorbei an wunderschönen Wiesen und Korkeichenwäldern. Er wird auf 4.000 bis 2.800 v. Chr. datiert. Die 92 Menhire, die kurioserweise aus Gestein bestehen, das in der Gegend nicht vorkommt, bilden eine Acht, die mit Unterbrechungen doppelt verläuft. Einige Steine haben Gravuren, die darauf hinweisen, dass das Steinoval ggf. als astronomisches Messinstrument diente. Die meisten von uns sind irgendwie sprachlos als sie die Steine sehen und wandeln für sich umher, von Stein zu Stein, bleiben einmal hier und einmal dort stehen, berühren die Steine und lassen die Stimmung auf sich wirken.
Nun ist es doch schon spät geworden und es dämmert. Heute nehmen wir das Essen nicht im Dias Distintos ein und wollen unbs irgendwo auf dem Rückweg ein Restaurant suchen. Wir bangen einn bisschen, dass es vielleicht schon so spät ist, wir kein Restaurant finden oder die Küchen bereits geschlossen sind, denn die Ortschaften und Dörfer sind ja touristisch nicht so erschlossen. Wir fahren einfach mal nach Montemor-o-Novo hinein und versuchen unser Glück. Es scheint nur ein paar Bars zu geben und irgendwie sieht alles so geschlossen aus. Oben an der Festung ist tote Hose. Kurz bevor wir aufgeben wollen, stehen wir plötzlich vor einem Tapas Restaurant und einer Pizzaria, beide sind bereit uns noch zu bewirten. Juhuuu! Inzwischen sind wir auch wirklich hungrig! Am Ende des Tages kehren wir erst in der Nacht in unseren Turismo Rural zurück und haben heute wirklich jede Menge Erlebnisse im Gepäck!
Fortsetzung folgt. Alles Liebe!
Eure Wilde Möhre
Fotos: ©Andreas Thomasser, ©Silja Parke, ©Monika Merk